Spatenstich

Ein Krimi von Hendrik Schütze
krimi

Bruno stellte zwei Kaffee auf den Tisch. Er achtete darauf, sie so zu platzieren, dass sein Gegenüber die Tassen gerade so nicht erreichen konnte, ohne sich aus der lockeren Sitzposition aufzurichten. Den Zucker hatte Bruno auch weggelassen, trotz ausdrücklichem Wunsch. Er mochte sein Gegenüber nicht. Der Kerl war arrogant, hochnäsig und viel zu reich für sein junges Alter. Doch die BürgerInnen der Stadt vergötterten ihn als visionären Architekten, welcher die Stadt und Region mit seinen prachtvollen, eleganten Bauten künstlerisch ausschmückte. Kommissar Bruno ärgerte sich derweil nur über den Baustellenlärm vor seinem Büro und gesperrte Straßen auf dem Heimweg.

Er setzte sich auf seinen Stuhl im Verhörraum und seufzte leise: „Nun gut, Herr Lafond, machen wir weiter.“ „Ich wüsste nicht, was ich Ihnen noch Neues erzählen könnte. Ich habe, wie bereits mehrfach gesagt, Herrn Mantana zuletzt vor zwei Tagen auf meiner Baustelle am Weinbrennerplatz getroffen, wir haben uns kurz besprochen und danach ist er wieder gegangen“,antwortete Lafond betont genervt. „Über was haben Sie geredet?“, hakte Bruno nach. Lafond verdrehte die Augen: „Er ist der zuständige Statiker für meinen Hochhausbau, was denken Sie worüber wir gesprochen haben? Das Wetter?“ Bruno biss sich auf die Zunge, um den Typen nicht anzuschreien. Herr Mantana war seit zwei Tagen spurlos verschwunden und dieser Schnösel hier vor ihm hatte nichts Besseres zu tun, als seine Großkotzigkeit auf der Polizeiwache zu versprühen? Lafond nahm einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht. Bruno schmunzelte, es hatte sich gelohnt den Zucker zu „vergessen“.

„Wenn Sie wirklich nichts weiter wissen, was uns Hinweise auf den Aufenthaltsort von Herrn Mantana geben könnte, können Sie jetzt gehen“, murrte Bruno. Mit süffisantem Lächeln erhob sich Herr Lafond: “Auf bald, Sie Superspürnase.“ Kurze Zeit später sah Bruno ihn in seinem goldenen Porsche vom Parkplatz der Wache fahren. Hoffentlich wirst Du geblitzt, wünschte Bruno ihm hinterher.

Wenig später machte sich auch Bruno auf den Heimweg, um nicht das Abendessen mit seiner Tochter zu verpassen. Seit sie mit ihrem Architekturstudium begonnen hatte, bekam er sie kaum noch zu Gesicht. Dauernd war sie mit irgendwelchen Abgaben und Studios beschäftigt und das ganze Haus roch nach Holzleim.

Als Bruno an einer der etlichen Baustellenampeln stand, rief ihn sein Kollege an. Bruno, der das sichere einhändige Steuern im Fahrtraining seiner Grundausbildung erlernt hatte, hob sein Handy ans Ohr: “Was gibt’s? Habt ihr den Baucontainer durchsucht, in dem Lafond und Mantana sich zuletzt getroffen haben?“ „Ja, haben wir… keinerlei Hinweise. Nur ein kaputter Desinfektionsmittelspender und eine noch kaputtere Klimaanlage.“ „Verdammt“, fluchte Bruno. Er bog ab in eine Seitenstraße, durch die er gerne seinen Heimweg abkürzte. Fast fuhr er einem Betonmischer auf, der direkt hinter der Kurve mitten auf der Straße stand. „So ein Mist! Die Straße sollte doch heute wieder frei sein. Ich muss auflegen, melde mich später bei Dir.“ Bruno warf das Handy auf den Beifahrersitz, stieg aus und lief auf einen Bauarbeiter zu, der den Anschein machte, hier das Sagen zu haben. „Was ist denn hier los?“, fragte er den Arbeiter, „Die Straße sollte doch heute wieder frei sein.“ „War nicht meine Entscheidung, das hat der da zu verantworten“, erwiderte der Mann gereizt und deutete auf ein Banner, das hoch oben auf einem Bauzaun thronte. Hinter dem Zaun konnte er eine mehrere Meter tiefe Grube erkennen, in welche der Betonmischer gerade seinen Inhalt zu pumpen begann. Auf dem Banner war eine weiße Krone auf schwarzem Hintergrund dargestellt. Bruno erkannte es sofort als das Markenzeichen von Lafonds Büro. Es hing an praktisch jeder Baustelle der Stadt. Angeblich hatte Lafond sich sogar einen Spaten mit seinem Logo auf der Schippe anfertigen lassen, um bei Spatenstichfesten ein noch tolleres Bild für die Zeitungen abzugeben. War ja klar, dass der Kerl ihm jetzt auch noch den Heimweg versaute. „Was hat Lafond denn damit zu tun?“, fragte Bruno den Mann. „Der macht hier die Bauleitung, naja, sonst schickt er eigentlich immer nur seine Mitarbeiter“, erklärte der Bauarbeiter. „Vorgestern hat sich der feine Herr hier jedenfalls zum ersten Mal persönlich blicken lassen. Wir waren gerade an der Vorbereitung für das Gießen der Fundamente, da fängt der Kerl aus heiterem Himmel an, meine Leute anzuschnauzen, warum sie keine Helme tragen auf seiner Baustelle.“ Bruno runzelte die Stirn: „Müssen sie das denn nicht?“ „Erst wenn unser Kran hier aufgebaut ist“, der Mann gestikulierte herum, „aber wie Sie sehen können, steht hier weit und breit kein Kran und wenn uns nichts auf den Kopf fallen kann, müssen wir auch keine Helme tragen. Unser Großbaumeister Lafond wollte davon aber nichts hören und hat uns der Baustelle verwiesen, daher können wir erst heute unsere Sauberkeitsschicht gießen, verstehen Sie? Ab morgen ist die Straße dann wieder frei.“ Bruno warf einen Blick auf den Beton, welcher sich in der Baugrube verteilte, und wunderte sich, was diese graue Pampe mit Sauberkeit zu tun haben sollte. Er brummelte eine Verabschiedung und ging zurück zu seinem Auto.

Beim Abendessen löcherte seine Tochter ihn mit Fragen zu seinem neuen Fall. Als junger Stararchitekt aus Karlsruhe war Lafond eine Art Idol für seine Tochter und sie wollte unbedingt alles über ihn erfahren. Als Bruno schließlich von seiner Heimfahrt und dem Gespräch mit dem Bauarbeiter erzählte, wurde seine Tochter stutzig. „Das ist wirklich merkwürdig“, murmelte sie. „Eine Freundin von mir ist Praktikantin in seinem Büro, sie erzählt auch immer, dass Lafond sich nie persönlich um die Bauleitung kümmert. Und dass er dann auch noch wegen nichts die Bauarbeiter anschnauzt und nach Hause schickt!? Hatte wohl einen sehr schlechten Tag. Naja, bis der verschwundene Statiker wieder auftaucht, wird er wohl wieder bessere Laune haben.“ Bruno runzelte die Stirn: „Wie meinst du das?“ „Nun ja, anscheinend verstehen sich die Beiden nicht gut. Mantana ist dafür bekannt, bei seiner Prüfung der Statik ganz genau hinzuschauen, und Lafond ist, naja, mehr ein Künstler als ein Mathematiker“, sie grinste. „Seinen Entwurf für das Hochhaus am Weinbrennerplatz musste er wohl mehrmals umplanen, weil Mantana immer wieder was am Tragwerk auszusetzen hatte. Dabei sollte das sein bisher spektakulärstes Projekt werden.“ Brunos Blick wurde glasig. Seine Tochter erzählte etwas über ihren Tag an der Uni, aber er hörte längst nicht mehr zu. In seinem Kopf rasten die Gedanken. „Ich muss nochmal los!“, Bruno sprang auf und hastete zur Tür. Während er sich Schuhe und Jacke anzog, rief er bereits seinen Kollegen an: „Ich bin‘s, ich hol Dich gleich bei Dir ab, bring Gummistiefel und Schaufeln mit!“

Fünf Minuten später blieb er mit quietschenden Reifen vor Mikes Haus stehen, als dieser gerade mit ein paar Gummistiefeln und zwei Spaten aus der Tür kam. Er hatte sich noch nicht angeschnallt, da raste Bruno bereits wieder los. Auf der Fahrt erzählte Bruno von seinem Einfall. „Und du willst jetzt einfach so auf einer Baustelle einbrechen und herum graben? Dein Verdacht klingt zwar plausibel, aber das ist doch verrückt!“, protestierte Mike. „Das ist vielleicht unsere letzte Chance! Wenn wir warten, bis der Beton ausgehärtet ist oder sogar schon das Haus draufsteht, werden wir niemals einen Richter dazu bekommen, uns in die Baugrube schauen zu lassen!“ Bruno stoppte den Wagen an der Baustelle, die ihm ein paar Stunden zuvor den Heimweg versperrt hatte. Es war bereits dunkel und die Arbeiter längst im Feierabend. Bevor er ausstieg, wandte er sich zu Mike: „Hör zu, wenn Du kalte Füße hast, dann bleib im Wagen und ruf den Richter an. Erzähl ihm von meinem Verdacht und lass Dir die Durchsuchungserlaubnis geben.“ Bruno grinste: „Er muss ja nicht wissen, dass ich bereits auf der Baustelle am Graben bin.“ Er drückte Mike sein Handy in die Hand, die Nummer des Richters war bereits eingetippt. Hastig stieg er aus dem Wagen, schnappte sich die Stiefel, einen der Spaten und rannte zur Grube. Der klapprige, nur halbherzig befestigte Bauzaun gab bereits nach ein paar kräftigen Tritten nach und kippte um. Er war noch nicht ganz umgefallen, da sprang Bruno schon über ihn hinweg und rutschte in die Baugrube. Der noch flüssige Beton dämpfte seinen Aufprall. Bruno sah sich um. Die Grube war knapp acht Meter breit und vier Meter lang. „Wo soll ich anfangen?“, fragte er sich. Er entschied sich dazu, an der Straßenseite der Grube zu beginnen, und watete durch die graue Masse am Boden. Zunächst schaufelte er sich eine freie Fläche in den Beton, der schon merklich zähflüssiger wurde. Danach begann er wild in dem sandigen Boden zu graben. Nach kurzer Zeit war er schon völlig aus der Puste. Bruno wollte gerade zu einer anderen Stelle weiterziehen, als er mit seinem Spaten auf etwas Hartes im Boden stieß. Plötzlich war seine Erschöpfung wie verflogen, er schaufelte rasant seinen Fund aus dem Erdreich und betrachtete, was er vorfand. Ein dunkler, elegant anmutender Spaten und ein großer, unförmiger Plastiksack. Er erkannte sofort das Logo von Lafond auf dem schwarz lackierten Spaten. Anders als auf den Zeitungsbildern war sie aber nicht blitzblank geputzt, sondern war mit verräterischen roten Spritzern übersäht. Das und der Geruch, der aus dem Plastiksack zu Bruno emporstieg, gab dem Kommissar zu verstehen, dass er soeben den verschollenen Mantana gefunden hatte.

Bruno richtete sich auf. Er wollte gerade in Richtung seines Autos gehen, da traf ihn plötzlich ein heftiger Schlag. Er sank auf die Knie und konnte sich gerade noch abfangen, bevor sein Gesicht in den Beton eintauchte. Er drehte langsam seinen Kopf in Richtung des Angreifers, auch wenn er sich schon denken konnte, wer ihn hier hinterrücks überfallen hatte. Doch zu seiner großen Verwunderung sah er Mike in die Augen. „Jetzt hättest Du doch beinahe meine Pläne durchkreuzt.“, raunte der mit ernster Miene, „naja, immerhin hast Du Dir schon eine passende Grube geschaufelt.“ Vom Schmerz wie gelähmt schossen Bruno tausend Gedanken durch den Kopf. „Du steckst mit ihm unter einer Decke!?“, fragte er verwirrt. „Ach sei doch nicht albern!“, lachte Mike ihn aus, „Lafond das Weichei könnte doch keiner Fliege was antun. Deshalb war es auch so einfach für mich, den Schnösel zu erpressen, als ich ihn einmal stockbesoffen aus dem Verkehr gezogen habe. Hat mir seitdem jeden Monat ne hübsche Summe gezahlt, wollte wohl nicht sein Posterboy-Image in der Stadt verlieren.“ „Aber wieso Mantana?“, fragte Bruno erschüttert. „Der war etwas zu mutig für sein eigenes Wohl.“ Mikes Augen verengten sich. „Er hat mitbekommen, dass Lafond mir Schutzgeld zahlt. Hat uns beide im Baucontainer an der Weinbrennerbaustelle erwischt, als ich gerade meine Zahlung abholen wollte. Dachte wohl, ich lasse ihn so einfach laufen, nach allem was er gesehen hatte.“ So langsam verstand Bruno: „Du hast ihn also ermordet und Lafond dazu angestiftet, den Mord zu vertuschen? Deshalb war er auch so unfreundlich auf er Wache! Er dachte bestimmt, dass ich auch in deine Spielchen verwickelt bin.“ „Und wer hätte ihm auch schon geglaubt?“, grinste Mike und erhob bedrohlich den Spaten, mit dem er seinen Kollegen zu Fall gebracht hatte. „Er hat erst auf der Wache langsam begriffen, dass ich ihm alles in die Schuhe schieben will. Für ein vermeintliches Genie ist der Gute echt schwer von Begriff.“ Der Spaten war oben angekommen. Mike hielt kurz inne, um ihn danach mit aller Kraft auf den am Boden liegenden Bruno zu schmettern. Bruno kniff die Augen zusammen. Er hörte einen dumpfen metallenen Aufschlag und einen Körper zu Boden sacken. Verblüfft stellte er fest, dass es sich dabei nicht um seinen eigenen handelte.

Er blickte auf. Als erstes sah er Mike, der reglos am Boden lag. Weiter oben blickte er in ein Gesicht, von dem er niemals gedacht hätte, dass er froh sein könnte, es zu sehen. Brunos Adrenalin schwand aus seinen Adern und er sank erschöpft in sich zusammen. Nur verschwommen nahm er die Stimme von Lafond wahr, sie erzählte etwas von Baustellenkamera, das Hilfe auf dem Weg wäre und der Spuk nun endlich vorbei wäre.